Hundert Jahre SPD in St. Ilgen

Auf der Reise in die Vergangenheit mit dem Ziel, Urkunden vom erstmaligen Auftreten von Sozialdemokraten in St. Ilgen zu finden, stießen Mitglieder des Ortsvereins zunächst auf eine Notiz in den Gemeinde-Nachrichten der damals noch selbständigen Gemeinde St. Ilgen vom 27. September 1968. Darin heißt es, daß der Ortsverein im Jahr 1955 ein verspätetes 50-jähriges Jubiläum feierte. Waldemar Thiel habe es unternommen, für dieses Jubiläum einen geschichtlichen Rückblick über das Entstehen und Werden des Ortsvereins zu erstellen. Dies sei angesichts der Tatsache, daß aus der Zeit vor 1945 alle Unterlagen vernichtet und verloren seien, keine leichte Aufgabe gewesen. Gestützt auf mündliche Überlieferung und Aussagen älterer Parteimitglieder habe er das Gründungsjahr 1891 ermittelt.

Diese Nachricht war nicht gerade ermutigend. Sollte es tatsächlich keinerlei schriftliche Unterlagen dazu geben, wann erstmalig Sozialdemokraten in den "Neunzigern" des vorigen Jahrhunderts in St. Ilgen ihr Unwesen trieben? Fündig wurden wir schließlich im Generallandesarchiv in Karlsruhe, wo sich Protokolle über Tagfahrten des Großherzoglichen Bezirksamtes Heidelberg nach St. Ilgen und Umgebung aus den Jahren 1892 und 1893 befinden. Darin heißt es:

Ein weiteres Unternehmen ist seit 1891 in einem früheren Privathause in der Nähe der Eisenbahnhaltestelle dadurch entstanden, da8 die Firma Reichert & Cie. eine Glace-Leder-Handschuhfabrik errichtete, deren sämtliche 32 Arbeiter Auswärtige, meistens Angehörige des Königreichs Sachsen und eifrige Sozialdemokraten sind. Doch kommen dieselben mit der eigentlichen Bevölkerung St. Ilgens weniger in Berührung, da die meisten in der Nähe der vom Ort getrennt liegenden Fabrik wohnen.

Dieser Bericht fügt sich nahtlos in ein altes Protokoll ein, das das Parteimitglied Waldemar Thiel im Jahre 1955 fertigte. Dort heißt es:

Nachdem das Sozialistengesetz gefallen war und aufgehoben wurde, haben sich im Frühjahr 1891 drei sozialdemokratische Lederarbeiter
August KEESE aus Rostock
August MICHAEL - beide Lederarbeiter - und
Ludwig REICHERT - Lederfärber -

entschlossen, eine Lederfabrik in St. Ilgen zu gründen, der später eine Handschuhmacherei angegliedert wurde. Es ist dies die auch heute noch bestehende Lederfabrik in St. Ilgen gegenüber dem Bahnhof. Ludwig Reichert wurde noch vor der Gründung, also aus der Zeit des Sozialistengesetzes, drei Monate eingesperrt, weil er August Bebel während seiner Verfolgung beherbergt hatte.

Die Entwicklung dieses von den drei Sozialisten gegründeten kleinen Betriebes ging anfangs nur langsam vorwärts. Die damaligen Zunftgebräuche der Lederarbeiter brachten es mit sich, daß auch wandernde Lederarbeiter nach St.IIgen kamen, die in diesem kleinen Betrieb Arbeit fanden, und somit der Betrieb vergrößert wurde. Diese wandernden Lederarbeiter waren hundertprozentig qewerkschaftlich organisiert und auch vom sozialistischen Gedankengut erfaßt, und niemand konnte Arbeit und Brot finden, der nicht zumindest gewerkschaftlich organisiert war.

Karl DWORAK aus Mähren, Gerber,
Johann KNEISER und Bruno KIRCHHÜBER aus Sachsen,
die Brüder des Mitbegründers August Michael, Paul und Wilhelm MICHAEL

gründeten im Jahre 1891 den sozialdemokratischen Ortsverein in St. Ilgen, dessen Vorsitzender Karl Dworak war; der auch später, etwa im August 1918 in St. Ilgen verstarb und auch dort beerdigt ist.

Auch wenn wir nicht über ein Protokoll verfügen, aus dem sicher der Tag der Gründung des Ortsvereins ergibt, sollen uns die Erkenntnisse reichen, um im Jahr 1991 die hundertjährige Anwesenheit von Sozialdemokraten und ihre aktive Teilnahme am öffentlichen Leben in St. Ilgen zu feiern.


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