Leserbrief von Wolfgang Krauth
"Rücksichtnahme im ÖPNV"

Wolfgang Krauth
Troppauer Weg 6
69181 Leimen
12. Februar 2009


Sehr geehrte Damen und Herren,

Mittwochmorgen, 7.09 Uhr an der Haltestelle Georgi-Markt: Ich steige in eine Straßenbahn der Linie 23 Richtung Heidelberg. Die Bahn ist voll aber nicht überfüllt. Sitzplätze sind keine mehr frei. Ein paar Meter weiter vorne sehe ich, eine alte Frau mit Kopftuch stehen. Das Stehen fällt ihr offensichtlich schwer. Um sie herum sind 14 Sitzplätze, zwölf davon sind von Schülern belegt, zwei von jungen Erwachsenen. Vier Schüler – noch nicht im Konfirmandenalter spielen Karten. Einige unterhalten sich. Einige schauen in die Luft – aber so, dass sie die alte Frau nicht anschauen müssen, die sich mit beiden Händen festklammert, um nicht umzukippen. In Rohrbach-Süd wird glücklicherweise ein Platz frei, weil einer der jungen Erwachsenen aussteigt. Die alte Frau beeilt sich, um den Platz zu erreichen. Sie hat Glück, dass niemand jüngeres den Platz ebenfalls erblickt hat, sonst würde sie vermutlich den Kürzeren ziehen, denn es ist wenig wahrscheinlich, dass ihr jemand den Vortritt lassen würde.

Mir gehen einige Fragen durch den Kopf: Warum bietet niemand von denen, die unmittelbar um die alte Frau herum sitzen, ihr seinen Platz an? Bringen Eltern, Erzieher/innen, Lehrer/innen ihren Kindern / Schutzbefohlenen nicht einmal mehr ein Mindestmaß an Anstand bei? Oder stehen die jungen Leute nur deshalb nicht auf, um bei ihren Freunden nicht als Weich-Ei zu gelten?

In Karlsruhe gibt es eine Bandansage in den Straßenbahnen: „Bitte überlassen Sie Ihren Sitzplatz denen, die ihn nötiger brauchen als Sie!“ Vielleicht wäre das ein Schritt zur Sensibilisierung? Vielleicht könnte man aber auch Lehr- und Erziehungspläne in den Schulen und Kindergärten etwas mehr auf das menschliche Miteinander ausrichten. Vielleicht bringt aber auch dieser Brief – so er denn veröffentlicht wird – Eltern oder Großeltern dazu einmal mit ihren Kindern oder Enkeln über das Thema Rücksichtnahme auf Schwächere zu reden.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Krauth