SPD Ortsverein Leimen

SPD Leimen: Die Entstehung


Es gibt keine Gründungsurkunde der SPD Leimen. Das für die Ortsvereinsgeschichte wichtigste Dokument ist ein Mitgliedsbuch, ausgestellt am 15. August 1900 auf den Namen des späteren Ehrenbürgers der Gemeinde Leimen, Johannes Reidel. Der Stempel trägt die Umschrift: "Arbeiter-Wahlverein Sandhausen und Umgebung." Als Vorsitzender unterzeichnete Paul Obst. Die Beitragsmarken sind bis zum Jahr 1903 ebenfalls mit der genannten Vereinsbezeichnung entwertet. Ab 1904 jedoch lautet der Entwertungsstempel: "Sozialdemokratischer Verein Leimen." Damit ist der Nachweis für die Existenz eines organisatorisch selbständigen Leimener Ortsvereins ab 1904 erbracht.

Hervorgegangen aus den Wahlvereinen für die arbeitende Bevölkerung während der Dauer des Gesetzes "gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" (1878-1890), blieb auch danach der "Arbeiterwahlverein" die damals übliche Bezeichnung für die örtliche sozialdemokratische Organisation. Die Wahlvereine dienten der gegenseitigen Information über kommunale und andere politische Tagesfragen und hauptsächlich dem Zweck, zur Zeit der Wahlen die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten. Sie wurden vom Staat überwacht und auch aufgelöst, sobald sich der Verdacht einer sozialdemokratischen Tarnorganisation ergab. Nach 1890 verstärkte sich jedoch die Organisierung der Arbeiterschaft in den Kleinstädten und stadtnahen Dorfgemeinden. Die Verlegung des Portlandzementwerks von Heidelberg nach Leimen im Jahre 1896 brachte einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften mit sich, die nicht nur von der kleinbäuerlichen Bevölkerung der Gemeinde gestellt wurden. So waren es auch auswärtige Fachkräfte, wandernde Gesellen, die sozialistische Gedanken noch vor der Jahrhundertwende in Leimen heimisch machten. Diese im ganzen Land beobachtete schrittweise Veränderung der politischen Gruppierung und der Bevölkerungszusammensetzung in den Gemeinden widerspiegelt auch eine kurze Statistik sozialdemokratischer Ortsvereine in Baden: 1891 waren es 29 mit 1500 Mitgliedern, 1904 bereits 114 mit insgesamt 7332 Mitgliedern.

Wahrscheinlichwaren es wandernde Lederarbeiter, die in St. Ilgen einen genossenschaftlichen Lederbetrieb gründeten und auf die Arbeiterschaft der näheren Umgebung einwirkten. Zwei Mitglieder des 1891 gegründeten sozialdemokratischen Ortsvereins St. Ilgen, Bruno Kirchhüber, ein Weißgerber aus Sachsen, und Paul Michael, verzogen später nach Leimen und organisierten hier bei den Tabakarbeitern und anderen Arbeiterbauern der Gemeinde den Ortsverein. Paul Obst, der ebenfalls zu diesem Kreis der engagierten St. Ilgener Arbeiter zählte, signierte 1900 das eingangs erwähnte Mitgliedsbuch. Doch schon über ein Dutzend Jahre vor 1904 wurde in Leimen unter der Arbeiterschaft und den Besitzbürgern über politische Rechte diskutiert. Dem aufmerksamen Polizisten der Gendarmerie-Station Leimen war es im April 1890 nicht entgangen, "dass in hiesiger Gegend ... hauptsächlich von jungen, unerfahrenen Sozialdemokraten immerfort ein Republiklied gesungen wird, welches bei bessergesinnten Einwohnern Unwillen hervorruft." Er erstattete Bericht an das Großherzogliche Bezirksamt Heidelberg und legteden Text des Liedes bei. Die Behörde forderte nur wenige Tage später das Bürgermeisteramt Leimen auf, das Absingen dieses – auch heute noch bekannten – Liedes, das mit den Worten beginne: "Saßen sechs Studenten zu Frankfurt an dem Main", zu verbieten mit Androhung von Strafmaßnahmen. Auch eine Arbeiterdemonstration am 1. Mai, heute ein Feiertag, den jeder Bürger genießt und wohl in den seltensten Fällen daran denkt, wie viel Schwierigkeiten Sozialdemokraten und Gewerkschaftler bei der Erkämpfung dieses "Tags der Arbeit" hatten, war nicht unproblematisch. Am 29. April 1892 verfügt das Großherzogl. Bezirksamt, dass der von Ludwig Hemy und Franz Frei geplante "Maiumzug mit Musik zu Leimen zu verbieten ist". Das Bürgermeisteramt war gehalten, diese Verfügung dem Vorstand des Arbeiterwahlvereins mitzuteilen und gegen die Teilnehmer sofort einzuschreiten. Eile war geboten, denn am übernächsten Tag ließen es sich die Leimener sozialdemokratischen Arbeiter sicher nicht nehmen, "ihren Tag" zu feiern.

Ein weiteres Dokument für sozialdemokratische Aktivitäten vor der Jahrhundertwende, ist ein Schreiben des Innenministeriums vom 27.4.1897 an das Bezirksamt, dem ein "Verzeichnis der im dortigen Bereich bestehenden Mitgliedschaften der sozialdemokratischen Partei Badens nebst deren Mitgliederzahl zur Kenntnisnahme" zugeschickt wurde. Für Leimen werden 20 Mitglieder angegeben, für Nußloch 30, für Sandhausen 17, für Waldhilsbach 20, für Heidelberg 65. Um die praktische Wirkung zu steigern und wohl auch aus personellen Gründen waren die Mitglieder aus Leimen dem schon genannten "Arbeiterwahlverein Sandhausen und Umgebung" angeschlossen. Der Ortsverein gehörte ab 1908 zum politischen Alltag in Leimen, so dass Johannes Leonhard, der damalige Vorsitzende, unter geänderten Bedingungen schon mehr Glück hatte, als er am 26. April 1910 eine öffentliche Versammlung zusammen mit den freien Gewerkschaften für den 1 . Mai - ein Sonntag - beim "wohllöblichen Bürgermeisteramt" beantragte - ein Beflissener hat die Rechtschreibefehler hochwohllöblich unterstrichen. Die Veranstaltung sollte in der Gartenwirtschaft des Anton Schuppel stattfinden, bei ungünstiger Witterung im Saal, mit anschließender Demonstration durch Leimens Ortsstraßen. Bürgermeister Christoph Lingg – nachdem heute selbst eine Straße benannt worden ist, auch wenn sie noch für den Durchgangsverkehr gesperrt ist – erteilte die Genehmigung mit der Auflage, dass der Zug durch die Ortsstraßen vor 13 Uhr oder nach Beendigung des Nachmittagsgottesdienstes stattfinde. Auch dem Maschinisten und Schlosser Christoph Bollack war es vergönnt, am 24. April 1911 vom Bezirksamt eine Genehmigung für einen Maiumzug zwischen 7 und 8 Uhr abends zu erhalten.

Auch nach dem Fall des die Vereinstätigkeit stark einschränkenden Sozialistengesetzes blieb mit dem Vereinsgesetz ein staatliches Instrument, gegen sozialdemokratische Versammlungen vorzugehen. Während der Debatte des badischen Landtags im Jahre 1907 über die Anpassung des badischen Vereinsgesetzes an das Reichsvereinsrecht wehrte sich die sozialdemokratische Fraktion in einer Anfrage, gegen die Vorschrift, die Mitgliederlisten und die Namen von Vereinsvorständen einzureichen, weil damit Missbrauch nicht auszuschließen sei. Nach den jährlichen Aktenvermerken der Polizeistationen wurden politische Versammlungen im Bereich des Bezirksamts Heidelberg ab 1908 nicht mehr überwacht, auch nicht während des Krieges. Der politische Alltag in der Gemeinde sah oft anders aus, als auf dem Papier vorgeschrieben. Die für Sonntag, 11. Oktober 1908, abends 8 Uhr im Gasthaus "Zum Rößl" vom sozialdemokratischen Parteisekretär Emil Maier, einem in Heidelberg unvergessenen äußerst aktiven Sozialdemokraten, einberufene politische Versammlung wurde von Bürgermeister Lingg nach ordnungsgemäßer Anmeldung zugelassen; eine Überwachung sei nicht notwendig, da der Abgeordnete Pfeiffle über die Tätigkeit des Landtags berichten wolle. Das "Rößl" war zu jener Zeit Vereinslokal, dessen Wirt, Johann Georg Lingg, selbst aktiver Sozialdemokrat war.

eben dem Vereinsgesetz war es besonders das Dreiklassenwahlrecht, das eine wirksame kommunalpolitische Mitarbeit der Sozialdemokraten verhinderte. Eine detaillierte Schilderung der damaligen Rechtslage würde aber den Raum hier sprengen. Kurz gesagt war das Gewicht einer Wählerstimme – Frauen waren damals eh vom Wahlrecht ausgenommen – von der Höhe des Einkommens abhängig. Wer nichts verdiente, hatte kein Wahlrecht. Bei den Wahlen zum Bürgerausschuss im April 1906 konnten die Leimener Sozialdemokraten sämtliche Mandate der dritten Klasse und zwei von der zweiten Klasse besetzen. Mit dem Wahlergebnis mochten sich jedoch bürgerlich-nationale Kreise nicht abfinden. Es wurden beim Großherzogl. Bezirksamt formale Einwände vorgebracht. Die Gemeindeverwaltung entkräftete den Widerspruch, so dass die Beschwerdeführer ihre Einsprüche zurücknahmen. Das Bezirksamt stellte in einem abschließenden Schreiben aber fest, dass gegen den Grundsatz der geheimen Wahl verstoßen wurde, da die Gemeindeverwaltung in der Größe unterschiedliche Wahlzettel zugelassen hatte, wobei die auffallend kleineren Zettel die der Sozialdemokraten waren. Eine Wahlmanipulation oder zumindest eine zweideutige Einstellung, die letztlich die sozialdemokratischen Wähler verunsichern sollte. Wenn die Einspruchsfrist nicht abgelaufen wäre, so das Bezirksamt, wäre die Wahl ungültig gewesen.

Auch bei den Bürgerausschusswahlen der Jahre 1909 und 1912 konnten die Sozialdemokraten beachtliche Erfolge erzielen. Ein Erhebungsbogen von 1912 zeigt, dass sozialdemokratische Wähler bereits in allen Klassen vorhanden waren, die dritte Klasse aber nicht mehr als Domäne der Sozialdemokratie betrachtet werden kann. Um ihren Einfluss wirksamer zur Geltung zu bringen, waren die bürgerlichen Parteien (Zentrum, Nationalliberale und Zementwerks-Interessengemeinschaft) ein Wahlbündnis eingegangen, denn der Kampf galt nach wie vor der "sozialistischen Gefahr". Die Wahlbeteiligung war hoch, der Wahlkampf sehr intensiv, wie aus einer Zusatzbemerkung des Bürgermeisters ersichtlich. Von 60 Mandaten erreichten die Sozialdemokraten immerhin 17. Auch bei der Direktwahl der Gemeinderäte konnten sie 2 von insgesamt 6 Mandaten besetzen. Dabei kam der Humor nicht zu kurz. Ein Wähler versuchte sich auf dem Wahlzettel als Dichter:


Der Hannes ging zum Petrus
und sprach: "Ach Herr, gib Rat.
Es fehlt bei uns in Leimen drunt
ein heller Gemeinderat.


Ein Gemeinderat mit Glorienschein,
den hätten wir ganz gern,
denn das verflixte Sozzenpack
macht alles ganz modern".


Petrus sprach mit voller Freud:
"Den haben wir aus alter Zeit,
noch aus der Arche her.
Der taugt hier doch nichts mehr".


„Die Anfänge der Sozialdemokratie in Leimen“ von Dr. Heiner Neureither aus:
Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Ortsvereins Leimen 1979.
Textauswahl und Bearbeitung durch Wolfgang Krauth